Vorläufiges Endergebnis

Für Heiners letzte Predigt bei FIESTA. als aktiver Pastor der Braunschweiger Friedenskirche, haben wir ihm eine Extra-Aufgabe mit auf den Weg gegeben. Heiner sollte die beiden Wörter „Rentenversicherungsnummer“ und „Strickfreizeit“ in seine Predigt einbauen. Außerdem hatten wir uns eine weitere Wortneuschöpfung von ihm gewünscht. Seht selbst!

„ Wie lange machst Du noch? Bleibst Du hier?“ Das sind die täglichen Fragen, die mir gegenwärtig gestellt werden, wohl angesichts der Tatsache, dass ich wenigen Wochen auchin den Ruhestand gehe. Wohlgemerkt, ich habe vor „zu gehen“ und mich dann auch in diesem neuen Stand zu bewegen. Für uns als ganze Gemeinde sind diese Wochen auch recht herausfordernd. So wie wir auch das letzte Wochenende mit den Gottesdiensten anlässlich der Verabschiedung meines Kollegen Wolfram Meyer hier miteinander erlebt haben. Es war berührend, es war schön und doch auch herausfordernd. So ist das Leben. Ruhestand ist ja noch nicht das Ende. In jeder Lebenssituation werden wir erinnert, dass Glaube, Liebe und Hoffnung uns begleiten, weil sie uns im Angesicht Jesu begegnen.

Auch das Ende der nun fast 150 –jährigen Gemeindegeschichte der Braunschweiger Friedenskirche ist noch nicht da. Auch wenn es viele Veränderungen gibt. Und doch sind Konturen deutlich, was ein Leben ausmacht, ebenso wie die Wesensmerkmale einer Gemeinde die sich nunmehr durch 15 Jahrzehnte hindurch immer wieder verändert hat: Es ist eine Gemeinde in der Glaube, Hoffnung und Liebe bleiben sollen.

Meine heutige Predigt stelle ich unter das Thema

Vorläufiges Endergebnis: Fragmente der Ewigkeit

Ich will auch sagen, warum ich diese zugegeben etwas sperrige Formulierung gewählt habe. Zunächst möchte ich verraten, wie ich auf die beiden Fragen, die mir häufig in diesen Tagen gestellt werden in der Regel antworte. Frage 1: „Wie lange machst Du noch?“ – Antwort:„Wie meinst Du das? Ich habe ewiges Leben.“ – Frage 2: „ Bleibst Du hier?“ – Antwort: „ Ichhoffe nicht. Ich möchte gern im Himmel ankommen.“ –

Sicher ist das zu theologisch und für alle die es konkreter wissen möchten: Mein offizieller Dienst endet hier in 5 Wochen und meine Frau Christiane und ich bleiben gern hier in Braunschweig wohnen und ebenfalls hier in der Gemeinde Mitglieder. Ich werde aber ein Jahr lang eine Art Sabbatzeit machen, d.h. hier keine Dienste tun, sondern einfach dabei sein. Überregional habe ich einige Aufgaben, die ich noch weiterführen werde. Wenn ich zurückblicke auf die letzten Jahre, dann stellt sich auch die Frage nach dem Resümee. Was bleibt? Alles was ich heute sagen kann, hat den Charakter der Bekanntgabe einer Wahl,bevor alle Stimmen ausgezählt sind. Man nennt es „Vorläufiges Endergebnis“, d.h. da wirdschon ein klarer Trend deutlich, man weiß wohl wie es ausgehen wird.

Genauso ist es auch mit uns als Braunschweiger Friedenskirche, ja, mit der christlichen Kirche in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in dieser ganzen Welt: Wir können nur ein„Vorläufiges Endergebnis“ bekanntgeben. Und doch wollen wir auch die Gegenwart und dieVergangenheit als „Vorgeschmack“ oder als ein „Stück der neuen Wirklichkeit desangebrochenen Reiches Gottes, als ein „Fragment (Teilstück) der Ewigkeit“ wahrnehmen,würdigen und zuordnen.

An diesem Wochenende ist die Gemeindeleitung der Friedenskirche zu einer Klausur. Dort wird beraten, gebetet, geträumt und geklagt, gefeiert und getrauert, gelitten und geleitet. In diesem Monat befassen wir uns in dieser Gemeinde in den Predigten mit dem Thema„Kirche auf dem Weg der Veränderung“

Nun wir alle wissen, dass Veränderung zum Leben gehört. Dabei scheint es mir wichtig zu sein, dass wir die Vergangenheit würdigen und werten, und unsere Wurzeln und Platzanweisung (Berufung), die Gott uns gibt als Einzelne und auch als Gemeinde nicht missachten. „ Das Leben wird vorwärts gelebt, aber rückwärts verstanden“ (S.Kierkegaard)Wir dürfen uns aber auch nicht in der Zukunft, in der Vision verlieren. Jeder Mensch, jede Gemeinde, jedes Volk hat immer eine Gegenwart, ein „Jetzt“. Ich möchte es lernen, meine persönliche und unsere gemeindliche Gegenwart in der Gegenwart Gottes zu erleben, zu feiern und mich daran zu erfreuen, auch wenn manche Krankheiten, Herausforderungen und Altlasten das Leben schwer machen. Dennoch gilt:

In aller Vorläufigkeit des Lebens erfahren wir hier schon ein Zeichen des Reiches Gottes.

Veränderungen geschehen im persönlichen Leben, in der Kirche Jesu Christi und auch in der Gesellschaft und sogar in den kosmischen Zusammenhängen, man denke nur an die ökologischen Veränderungen (Klimawandel). –

Ich habe persönlich viele Veränderungen in meinem Leben mitbekommen. Allein die Feststellung, dass die Weltbevölkerung in meiner Lebenszeit von 2,6 Milliarden auf 7,6 Milliarden ́gewachsen ist, zeigt an wie sich das Leben auf diesem Erdball verändert. Einige Soziologen sprechen auch von der „Beschleunigung des Wechsels“.

Oder ich erinnere mich, wie diese Gemeinde sich in den vergangenen 15 Jahren verändert hat: Wir waren etwa um die 550 Mitglieder und heute sind wir um die 1300 Mitglieder. Das Gebäude hat sich geändert. Die gesamte sozial-diakonische Aktivität der Gemeinde hat sichneu im „Netzwerk Nächstenliebe“ gesammelt und gebündelt und wir durften „Spatz 21“bauen. – Wir haben veränderte Leitungsstrukturen und auch neue Facetten der Spiritualität stärker aufgenommen. Wir haben das heilende und hörende( prophetische ) Gebet und sind in der Frage der Taufe und Mitgliedschaft auf unsere Glaubensgeschwister aus anderen Konfessionskirchen zugegangen. Diese Gemeinde ist sehr beweglich und alles andere als veränderungsresistent. Dank sei Gott! Aber es geht weiter, liebe Freunde!

Pastor Wolfram Meyer hat seine letzte Predigt hier in seiner offiziellen Funktion als Pastor mit den Worten überschrieben „ Ich bleib dabei!“ Er hat uns mit Überzeugung und Tiefgangaufgezeigt, wie wichtig die Gemeinde Jesu bei allen Veränderungen in der persönlichen Christusnachfolge ist. Gemeinde ist Gottes Geschenk an uns und eine Hoffnungsträgerin in dieser Welt.

Ich möchte heute in der Predigt einer Frage nachgehen, die an dem Thema von Wolfram Meyer anknüpft. Ich sage auch „ Ich bleib dabei!“, aber ich frage „Was bleibt denn?“ Ich frage nach dem Kontinuum der Gemeinde, nach dem Kontinuum in meinem Leben, nach dem Kontinuum in der Welt. Wenn wir nur die Veränderungen sehen, ohne das Bleibendeim Blick zu haben, so können wir darin unsere Identität und damit auch ein „Heimatgefühl“verlieren.

Es scheint offensichtlicher zu werden, dass nicht alle die Veränderungen dieser Zeit begrüßen. Einige sehen sehr viel Dunkles und Zerstörerisches, der Satan scheint kräftiger und lauter in dieser Welt zu brüllen und er stiftet Verwirrung. Andere sind wie Traumtänzer und kommen einem blauäugig vor. Erkennen sie nicht den Ernst der Lage? Wieder andere verstummen, weil sich eine Ohnmacht breit machen will. Wieder andere wollen schreien und protestieren, angesichts der spürbaren Ohnmacht des Einzelnen. Diese Welt geht den„Bach runter“, sie befindet sich im Finale.

Wie reagiere ich auf Veränderungen? (Bild einblenden: Wahrnehmungsverweigerung)

Sind wir die verängstigten Ohrenzuhalter, die bewussten Weggucker, die „Sich – Heraushalter“ oder die „Abgrenzer“?

Wie sehr wünsche ich mir, dass in meinem persönlichen Leben, im Leben dieser konkreten Ortsgemeinde, der Braunschweiger Friedenskirche, und allgemein im Leben der Kirche Jesu Christi weltweit, ja, auch in der Gesellschaft in dieser Welt nicht die Pessimisten, die Ängstlichen und Zaghaften oder die Wütenden prägen, sondern Menschen mit Hoffnung, Glaube und Liebe; Menschen, die eine endzeitliche , eine eschatologische Melodie , ein Liedhaben und nicht wie „Brummer“ oder eintönige Gongschläger eine endzeitliche Alalie (griech. Eintönigkeit, Klanglosigkeit) pflegen.

Es „scheppert“ im Leben, es wird ängstlich, eintönig und einsam, wenn ich die Melodie der Ewigkeit in aller Vorläufigkeit des Lebens nicht mehr höre und nicht mehr singe.

Dann kommt es zu Spaltungen, zu Scheidungen und Trennungen. Da breiten sich Neid und Eifersucht aus. Die Ungeduld mit anderen und mit uns selbst feiert Triumphe. Die Blender und aufgeblasenen Zwischenerfolge paaren sich mit einer wachsenden Angst voreinander, die Wahrheit und Ungerechtigkeit bahnt sich ihre Wege, so dass Respekt-und Anstandslosigkeit sich ausbreiten. Ohne diese Melodie des neuen angebrochenen Reiches Gottes formiert sich ein wackelndes, bröckelndes, misstrauisches und ungeduldiges Lebensgefühl.

Noch konsequenter beschreiben es die sogg. Nihilisten aller Zeiten. Nihilisten sind Menschen, die keinen roten Faden mehr im Leben und in dieser Welt erkennen können, sondern das einzige was für sie kontinuierlich, dauerhaft und bleibend ist, ist die Nichtigkeit, die Sinnlosigkeit alles Daseins und aller Erkenntnisse. Eine Entwertung aller Werte breitet sich dann aus, eine „Logik der Dekadenz“ und konsequenterweise ein Egozentrismus oder eine Art sozialer, nationaler oder konfessioneller Autismus, eine Selbstbezogenheit. Das gibt es nicht nur in nationaler Form, sondern auch in kirchlicher Form, ja es gibt es auch bei ungezählten Menschen, die sich in die Isolierung flüchten, weil sie sonst die geballte Ladung an Sinnlosigkeit nicht ertragen können.

Der Philosoph der Hoffnung, Ernst Bloch kennzeichnete diesen Ausgangspunkt in seinemVorwort zu seinem Werk „Prinzip der Hoffnung“ wie folgt:

„Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartetuns? Viele fühlen sich nur als verwirrt. Der Boden wankt, sie wissen nicht warum und von was. Dieser Zustand ist Angst, wird er bestimmend im Leben, ist er Furcht.“

(Ernst Bloch, Vorwort zu „Prinzip der Hoffnung“)

Ja, wir brauchen Hoffnung, wir brauchen neues Vertrauen, wir brauchen Liebe und Geliebtsein in allem, sonst werden wir die notwendigen Veränderungen, Angleichungen an die Lebensumstände, nicht hinbekommen; weder als Einzelperson, noch als Kirche Jesu Christi, noch als Nation oder Gesellschaft.

Wir halten uns an Jesus, den Retter dieser Welt, wenn er sagt:

Jesus sagt: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden!“(Johannes 16,33)

Auch der Apostel Paulus weist auf diese überwindende Endzeitmelodie hin, die im Zeugnis des Evangeliums aufleuchtet und zum Klingen kommt. Oft habe ich es für mich auf den Punkt gebracht: „ Wir humpeln alle in den Himmel!“ Und ich möchte es noch genauersagen: „Wir humpeln alle fröhlich in den Himmel, als Geliebte und Liebende, als Hoffendeund Vertrauende“. Die Erfahrung der Liebe Gottes paart sich mit der Dynamik der Hoffnung und dem verbindenden Glauben.

Glaube, Hoffnung, Liebe – das ist ein Klang den wir im Kapitel 13 des ersten Korintherbriefes finden. Er weist einen Weg aus der Nichtigkeit, aus den vielfältigen Formen des Nihilismus. Es bewahrt vor einer überheblichen Bewertung der Gegenwart und gibt ihr doch eine Zuordnung. (Bild einblenden: Superkontinuum) Einige Physiker kennen womöglich diesen extrem verbreiterten optischen Laserstrahl der als „Superkontinuum“ bezeichnet wird.

Im 13. Kapitel des ersten Korintherbriefes haben wir einen solchen Laserstrahl der Ewigkeit. Er leuchtet in alle Vorläufigkeit des Lebens hinein. Er hat die Farben von Glaube, Liebe und Hoffnung.

Wenn ich in Sprachen der Menschen und der Engel redete, aber keine Liebe hätte, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.
Und wenn ich Weissagung hätte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis, und wenn ich allen Glauben besäße, sodass ich Berge versetzte, aber keine Liebe hätte, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe austeilte und meinen Leib hingäbe, damit ich verbrannt würde, aber keine Liebe hätte, so nützte es mir nichts!

Die Liebe ist langmütig und gütig, die Liebe beneidet nicht, die Liebe prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf; sie ist nicht unanständig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu; sie freut sich nicht an der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles. Die Liebe hört niemals auf.

Aber seien es Weissagungen, sie werden weggetan werden; seien es Sprachen, sie werden aufhören; sei es Erkenntnis, sie wird weggetan werden. Denn wir erkennen stückweise und wir weissagen stückweise; wenn aber einmal das Vollkommene da ist, dann wird das Stückwerk weggetan.

Als ich ein Unmündiger war, redete ich wie ein Unmündiger, dachte wie ein Unmündiger und urteilte wie ein Unmündiger; als ich aber ein Mann wurde, tat ich weg, was zum Unmündigsein gehört.
Denn wir sehen jetzt mittels eines Spiegels wie im Rätsel, dann aber von Angesicht zu Angesicht; jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von diesen ist die Liebe.

( 1.Korinther 13- Schlachter-Übers.2000)

Wenn hier von der „Liebe“, der Agape, gesprochen wird, dann ist das nicht das Ergebnis menschlichen Bemühens. Hier ist die Liebe Gottes selber gemeint, die in unsere Herzen ausgeschüttet wurde durch den Heiligen Geist.

Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist. (Römer 5,5)

Wir haben hier und jetzt schon die Ewigkeit in uns. Ja, das Charisma des „ ewigen Lebens“(Römer 6,23). Es ist der Christus selber, der durch die Gabe des Heiligen Geistes in uns Wohnung genommen hat (Römer 8,9-11). Diese Gabe des Heiligen Geistes und auch alle Geistesgaben, die wir auch Charismen, Gnadengaben, nennen, sind nur eine „Anzahlung“(griech Arabon), eine Art Vorspeise der Ewigkeit.

Wohlgemerkt, niemand sollte auf die Idee kommen, dass Glaube, Liebe und Hoffnung diese Anzahlungen überflüssig machen. Es gibt bis in unsere Tage Theologen, die ernstlich behaupten wollen, dass in diesem Korinther-Text belegt sei, dass die Geistesgaben der Erkenntnis, der Prophetie, und der Sprachenrede, ja, womöglich alle Krafterweisungen des Heiligen Geistes, heute nicht mehr notwendig seien, da wir ja die Bibel hätten. Sie deuten das „Vollkommene“, von dem Paulus in Vers 10 spricht, völlig willkürlich als die Kanonsbildung der biblischen Schriften im 4. Jahrhundert. Dafür gibt es jedoch weder eine überzeugende biblische Begründung noch eine kirchengeschichtliche.

Will man denn ernsthaft annehmen, wir könnten auf Erkenntnis verzichten, auf prophetisches Reden und Offenbarung oder auch auf diese wunderbare vom Heiligen Geist ermöglichte Gebetsform in einer nicht erlernten Sprache mit Gott zu kommunizieren, seien es nun Menschen – oder Engelssprachen? Das steht wahrlich nicht in diesem Text. Sondern diese vorläufigen Geisteswirkungen sind nur dann wie Rätselraten oder wie ein Geheimnis, wenn sie nicht zu dieser Melodie der Liebe, des Glaubens und der Hoffnung praktiziert werden. Das ist der Nenner, das Kontinuum.

Hier steht nicht, dass die Liebe die Gaben des Geistes ersetzt, sondern dass die Liebe denGaben des Geistes ihren Stellenwert gibt. Sie werden „Fragmente der Ewigkeit“ – Teilstücke, ein Vorgeschmack des Himmels. Und auch hier in dieser Gemeinde wollen wir auf keinen Fallauf diese „Fragmente der Ewigkeit“, die Gaben des Heiligen Geistes, verzichten, sondern wir wollen sie in Liebe zur Anwendung bringen.

In der Kirche Jesu Christi ist dieser Klang des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung zu hören, oder sie entartet zu einem Arbeitslager oder eine Belustigungseinrichtung. Bei diesem Kontinuum des Himmels trennt man sich nicht, weil man unterschiedliche Sichten hat, sondern man versöhnt sich, man weiß von Vergebung. Wir zelebrieren die Buntheit und Vielschichtigkeit der Gnade Gottes unter uns. Die Kirche Jesu ist ein Ort für alle Menschen und nicht nur für brave Bürger, kesse Kulturrevoluzzer oder glatte Gutmenschen. Die Gemeinde, -auch diese konkrete Friedenskirche hier vorort- ist eine „Vorhut“, eine„Avantgarde der Ewigkeit“. Bei allen Fragmenten, bei aller Vorläufigkeit, bei allem Gestümper und Gehumple in der Gemeinde ist eines klar: Hier ist die Liebe Jesu, hier ist das Vertrauen, hier ist Hoffnung. Hier versöhnen sich Vergangenheit und Zukunft schon in der Gegenwart. Wenn nicht, dann ist alles hier null und nichtig.

Doch nun will ich mit uns noch einmal genauer hinschauen, wie dieser „Superkontinuum“- Stahl vom Apostel Paulus beschrieben wird. Da zeigt er zunächst auf, dass es alles an der von Gott gegebenen und weitergegebenen Liebe hängt. Diese Liebe ist sozusagen wie eine Mutter mit zwei Kindern an den Händen erfahrbar ist. Die Liebe ist immer in Begleitung vonden „Kindern“ Glaube, sprich Vertrauen, und Hoffnung.

In dem Herzstück dieses Kapitels beschreibt Paulus das Wesen der göttlichen Liebe, die genau diesen bleibenden Werk eines Lebens, einer Gemeinde, ja allen Lebens ausmacht ausmacht.

Das Wesen der Liebe (Agape)

Die Liebe ist langmütig und gütig, die Liebe beneidet nicht, die Liebe prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf; sie ist nicht unanständig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu; sie freut sich nicht an der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles. Die Liebe hört niemals auf. (1.Korinther 13,4-8)

1 Die Liebe hat ein weites, großes Herz- „ Die Liebe hört niemals auf“

Das ist nicht nur Langmut und Geduld, sondern die Überwindung von Engherzigkeit und Kleinlichkeit. Die Liebe bewahrt den Frommen vor einer Enge und davor, dass er seine eigene Erkenntnis und seine eigenen Werte zum Maßstab macht. In einem liebenden Herzen ist immer noch Platz, es platzt nicht, weil Jesus darinnen ist. Nicht mein Gewissen, nicht meine Vorliebe oder meine Abneigung bestimmen darüber, wer Raum gewinnt, sondern die Liebe.

So mancher, der sich wohler fühlt bei klaren Grenzen und Mauern möchte sein Herz abgrenzen und abschotten von jenen, die anders sind als man selbst. Und schon wird es eng.

Wie viel Liebe soll in meinem Herzen sein? Wieviel Liebe soll in dieser Gemeinde sein? Wieviel Liebe brauchen wir in dieser komplexen und verzankten Welt?

2 Die Liebe ist hilfreich und praktisch den Menschen zugewandt- „Die Liebe ist gütig“

Martin Luther übersetzt die Liebe ist„ freundlich“. Es ist eine ganz bestimmte Form von Güte, die hier gemeint ist. Nicht nur ein Gefühl, sondern eine Güte, die sich ausdrücklich auch im Tun erweist, die uns was kostet. Wenn Frömmigkeit lieblos macht, stimmt etwas nicht! In wie vielen Gemeinden wird „die Wahrheit“ hochgehalten, man meint aber die eigene Erkenntnis oder die Erkenntnis einer Gemeinde. „Willst Du nicht mein Bruder sein, schlag ich Dir den Schädel ein!“ Das war wohl nicht nur das Motto von Kain, sondern es ist das Motto von einseitigen, einäugigen Frommen, die ihre eigne Blindheit nicht wahrnehmen.Die Liebe sortiert nicht nach Menschen, die es wert sind und jenen, die es nicht wert sind, dass ihnen geholfen wird.

3 Die Liebe vergleicht nicht. – „Die Liebe neidet, prahlt nicht und bläht sich nicht auf“

Da plustern wir uns nicht auf, so wie ein stolzer Gockel oder eine wütende Henne. Wir vergleichen uns nicht, weil wir alle zu dem einen Leib gehören, den Leib Jesu Christi. Weil wir alle geliebte Geschöpfe Gottes sind. Wenn Gott segnet, sollten wir es nicht zum Prahlen benutzen, wir malen unsere Erfolge mit bescheidenen Worten aus oder streuen sie kurz und wirksam in ein Gespräch.

4 Die Liebe lässt sich nicht aus der Fassung bringen- „Die Liebe wird nicht bitter“

Wie gehen wir mit Ungerechtigkeit, mit Bosheit um? Sind wir wie die Buchhalter und rechnen genau auf? Die Liebe ist anders. Sie lebt von der Vergebung, sie rechnet das Böse nicht zu. Die Liebe kann Sünde aufdecken, aber sie stellt Menschen nicht bloß. Sie kann auch Böses zudecken. Sie muss nicht jeden Klatsch und Tratsch, jede Fake News, jedes Versagen und jeden Auswurf des Bösen zum Thema machen. Sie freut sich nicht an der Unwahrheit und Ungerechtigkeit, aber an der Wahrheit.

5 Die Liebe hält zusammen, was auseinanderfällt- Die Liebe trägt alles

Sie trägt alles (griech. stego). Sie ist wie ein Dach, unter dem sich viele versammeln können. Sie ist voller Vertrauen. Die Liebe nährt die Seele mit neuem Mut und führt zu Vertrauensbeziehungen, sie glaubt uneingeschränkt. Glaube ist eine Beziehung zwischen Menschen, zwischen Menschen und Gott, zwischen Menschen und der Schöpfung. Es geht um ein Vertrauen.

Dabei ist die Geduld wichtig. Wir geben anderen und uns selber Zeiten der Reifung, der Veränderung. Wir sprechen nicht das Urteil, sondern Gott. Wir bevormunden nicht, sondern locken zur Mündigkeit.

Immer, wenn ich über die Liebe, diese Agape predige, so merke ich, dass meine Worte nicht ausreichen. Liebe will konkret sein in meinem persönlichen Leben, im Leben dieser Gemeinde, in dieser Welt.

So will ich am Schluss meiner Predigt aufzeigen, wie sich das Kontinuum Glaube, Liebe, Hoffnung, in meinem persönlichen Leben und im Leben der Gemeinde und in meiner Sicht von dieser Welt widerspiegeln.

Glaube, Liebe, Hoffnung konkret

In meinem persönlichen Leben bekomme kann ich die Vorläufigkeit meiner Erkenntnisse erkennen und so habe ich ein offenes Ohr für andere. Ich bin als Suchender gefunden von der Liebe Gottes.

Als Geliebter werde ich hineingenommen in die Selbstdistanzierung, in den Humor. Ich weiß um meine Vorläufigkeit, um meine Fragmente der Ewigkeit. Aber ich kann mich daran auch erfreuen. Die vorläufigen Endergebnisse weisen mich darauf hin, dass die Ewigkeit in mir geboren ist.

Der Tod ist nicht mein Freund, aber er ist der besiegte Feind des Lebens. In mir ist der Same der Ewigkeit. Alles, was mir geschieht, kommt unter die Herrschaft meines Herrn. Je brüchiger mein Leben, je mehr der Tod anklopft, umso mehr strahlt die Hoffnung auf.

In der Gemeinde gehen wir barmherzig und umsichtig miteinander um. Die Gemeinde, in der die Liebe Gottes ist, hat Raum für alle: Für die Frommen, für die Suchenden, für die Starken und die Schwachen, für die Jungen und die Alten. Für alle Nationen und alle Kulturen. Die Gemeinde der Zukunft ist ökumenisch und international. Dort kommen Menschen zusammen, die nicht die Mauern hochziehen, sondern die Türen auftun. So stelle ich mir die Gemeinde der Gegenwart und der Zukunft vor. Die Türen müssen weit aufgemacht werden. Macht hoch die Tür! Es sind so unzählige, die hier noch ein Zuhause finden könnten und sollen.

Ich freue mich, dass diese Gemeinde in Zukunft ein wunderbares Leitungs-und auch Pastorenteam haben wird. So manche sagen, was soll das bloß werden, wenn Pastor Meyer und Pastor Rust weg sind. Nun, ich bin gewiss, dass Gott das neue Team über alles Bitten und Verstehen zum Segen setzen wird. Ja, es werden auch in den nächsten Jahren enormen Veränderungen auf uns zukommen, u.a. weil wir in einer Welt leben, die sich enorm verändert. Aber auch ,weil der Geist Gottes mit uns weiter geht. Der Geist Gottes geht nicht in den Ruhestand, aber er führt in diese Sabbatruhe hinein, die diese Welt so dringend braucht.

Ich freue mich auf Gottesdienste in der Gegenwart Gottes. Da fließen mir Trost, Liebe, Frieden und Freiheit zu. Da darf ich die Vorläufigkeit, diese Stückwerke der Ewigkeit feiern, wie ein Festmahl am Eingang zum Himmel. Da prokle ich nicht mit den Sticks meiner schmalen Erkenntnis in den wunden Herzen anderer herum. Wir wollen nicht bekannt werden durch Erfolge, durch eine Glanzvorlage unserer Fähigkeiten, sondern wir wollen dass der Glanz des Himmels, der Glanz der Herrlichkeit Jesu in aller unserer Bedürftigkeit aufleuchtet.

Die Gemeinde der Zukunft wird mehr und mehr etwas von dieser „Herrlichkeit“, dieser Melodie der Ewigkeit wiedergeben. Sie wird deshalb auch wie ein Licht und wie Salz in einer vergänglichen Welt sein. Mit jedem Abendmahl werden wir diese Vorläufigkeit der Ewigkeit feiern.

Je mehr dieses angebrochene Reich Gottes, diese neue Wirklichkeit der zukünftigen Welt, schon hier und jetzt in der Gemeinde und in unserer Gesellschaft, in dieser Welt ankommt, umso größer ist die Freunde auf den Tag der Vollendung. Dann wenn Jesus wiederkommt und wenn dieser Kosmos , dieses Zeitalter beendet wird. Alles, was hier schon die Melodie von Glaube, Hoffnung und Liebe hat, wird auch in der neuen Welt weitererklingen. Alles, was davon nicht berührt ist, wird vergänglich sein, auch wenn wir noch so sehr von Nachhaltigkeit, von Verantwortung gegenüber den nächsten Generationen (Generativität) sprechen.

Das vorläufige Endergebnis lautet: Bei aller Vorläufigkeit und Unfertigkeit unseres Daseins, bei allen Fragen und Antworten, allen Erkenntnissen und Geheimnissen des Lebens. Das Reich Gottes ist angebrochen.

So beten wir vollen Glaubens, voller Hoffnung und Liebe:

„Dein Reich komme, wie im Himmel, so auf dieser Erde!“( Matthäus 6,10)

Amen.